Nachdenken über Corona VIII
Sind wir dabei, eine einmalige Chance zu verpassen? Über die Rückkehr der Politiker und das Warten auf das Politische
In der Bekämpfung der Corona-Pandemie erleben wir gerade eine bemerkenswerte Rückkehr von Politikerinnen und Politikern. Eine Große Koalition, die zuvor im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt war und hilflos gegenüber populistischen Attacken erschien, zeichnet sich durch eine erstaunliche Handlungsfähigkeit aus. Es werden Entscheidungen in Größenordnungen getroffen, die vorher unvorstellbar schienen, und zwar sowohl hinsichtlich der Finanzen als auch hinsichtlich der unmittelbaren Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen. Dafür erhalten die zentralen Akteure außerdem bislang große Zustimmung – auch von mir.
Allerdings zeigt sich nach und nach: Es ist eine Rückkehr der Politiker und leider noch keine Rückkehr des Politischen. Was ist der Unterschied? Das Handeln der Politiker ist bisher im Wesentlichen Krisenmanagement. Es ist auf die akute Bedrohungslage bezogen. Wenig erkennbar ist, ob daraus auch ein echtes politisches Handeln wird, eine zukunftsgerichtete Gestaltung der Gesellschaft – und wenn ja, in welche Richtung.
Von vielen Journalisten, Interessenvertretern, Wissenschaftlern, NGO-Repräsentanten werden inzwischen Vorschläge gemacht, welche Lehren aus der Bedrohung gezogen und welche Chancen ergriffen werden sollten: von der besseren Entlohnung systemrelevanter Berufe über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und Steuersenkungen oder Steuererhöhungen oder Umverteilung bis hin zu klimapolitischen Maßnahmen oder gemeinsamen Euro-Bonds als Zeichen europäischer Solidarität. Es ist alles dabei, was es zuvor auch schon an Vorschlägen gab.
Die derzeit wichtigen politischen Akteure allerdings, also diejenigen, die reale Macht haben und gerade auch nutzen, schweigen. Äußerungen kommen höchstens von Ehemaligen, Hinterbänklern oder aus den Oppositionsparteien. Es ist keineswegs erkennbar, ob aus dieser Krise tatsächlich relevante Impulse jenseits der Krisenbewältigung und des Wiederaufbaus folgen.
Das wäre zutiefst bedauerlich. Denn leider bergen Krisen die Gefahr, dass genau diejenigen daraus gestärkt hervorgehen, die auch vorher schon mit Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen (wie Geld, medialem Einfluss, Kontakten) besser ausgestattet waren. Krisengewinnler sind gerade diejenigen, die die Schwächung von anderen nutzen. Wer jetzt Geld hat, kauft notleidende Unternehmen auf. Wer jetzt gute Verbindungen hat, schafft Netzwerke für die Nutzung der zu erwartenden Konjunkturprogramme nach der Krise. In den USA wurden zuletzt mitten in der Krise die Anforderungen an die Klimafreundlichkeit von Autos sogar gesenkt.
Pflegerinnen, Ärzte, Supermarktkassiererinnen und Paketboten werden von dieser Krise nicht profitieren, wenn nicht politische Rahmenbedingungen gesetzt werden, die genau das vorsehen – und zwar als bewussten Eingriff in freie Märkte. Denn es gibt keinen Grund anzunehmen, dass nach der Krise der freie Markt die Frage der Bezahlung dieser Tätigkeiten anders regeln wird als vorher.
Natürlich gibt es zahlreiche Unternehmen, die durchaus bereit sind, selbst in eine klimapolitisch sinnvollere und sozial gerechtere Gesellschaft zu investieren. Viele sind auch bereit, dafür auf einige Prozentsätze ihrer Gewinne zu verzichten. Aber man darf sich nichts vormachen. Aus eigener Kraft können sich einzelne Unternehmen nur sehr begrenzt gegen die Logik von Marktmechanismen und Verdrängungswettbewerben stemmen. Wenn wir europäische Solidarität, bessere Arbeitsbedingungen für bestimmte Berufsgruppen oder umweltfreundliche Produktionsprozesse haben wollen, dann braucht es dafür politische Setzungen. Dazu besteht derzeit eine vielleicht einmalige Chance.
Im Moment haben die politischen Entscheidungsträger ihre Machtposition enorm ausgebaut. Glücklicherweise muss man nicht den Eindruck haben, dass sie damit missbräuchlich umgehen. Auch sind die demokratischen Kontrollmechanismen ja nicht außer Kraft gesetzt. Die Parlamente funktioneren, die freie Presse ist frei wie immer, jeder Einzelne kann sich äußern – so wie ich es hier tue. Ich sehe in der Rückkehr der Politiker derzeit eher eine Chance, dass auch das Politische wieder mehr Einfluss gewinnt. Dass wir als Gesellschaft wieder mutiger werden, große Richtungsentscheidungen zu treffen. Dazu muss allerdings die Debatte darüber, welche Richtung wir einschlagen, bald auch von der Politik der ersten Reihe aufgegriffen werden. Sonst bleibt es ein Sturm im Wasserglas, der irgendwann in den Feuilletons und dann wieder in den populistischen Parteien landet.
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