Nachdenken über Corona IV
Corona-Pandemie vs. Klimawandel
In den letzten Tagen lässt sich beobachten, wie gemeinsames entschlossenes Handeln von Führungskräften aus den unterschiedlichsten Bereichen (Politik, Wissenschaft, Wirtschaft usw.) eine Gesellschaft in kürzester Zeit in einen anderen Zustand transformiert. Und dies auf Grund einer Bedrohung, die heute (Stand: 21.3.20 um 14.30 h, ca. 21.000 Infizierte und ca. 70 Verstorbene) nur die wenigsten hautnah als reale Gefahr erlebt haben.
Darüberhinaus geschieht sogar weltweit Vergleichbares: Unzählige Staaten setzen Maßnahmen durch, die bis vor wenigen Tagen unvorstellbar schienen, und finden dafür glücklicherweise den Beifall einer überwiegenden Mehrheit ihrer Bevölkerungen.
Bezüglich des Klimawandels lässt sich ein solch massives Umsteuern nicht beobachten, obwohl eine ähnlich eindeutige Faktenlage hierfür ein Umsteuern genauso dringend ratsam erscheinen lässt. Wieso ist das so?
Ich vermute, es gibt drei wesentliche Unterschiede:
- Wir gehen vermutlich alle davon aus, dass die Corona-Pandemie eine Ausnahme bleiben wird und wir danach zum Status Quo ante zurückkehren können. (Danke für diesen Hinweis an Anja Lothschütz, Klaus Gourgé, Eike Wenzel). Ob das stimmt, bleibt abzuwarten. Aber noch prägt es unser Denken und Handeln.
- Die Corona-Pandemie ist ein unmittelbarer Angriff auch unseren Körper und unsere Gesundheit; noch dazu auf ein Organ, dessen Funktion lebenswichtig ist und dessen wir uns vergleichsweise häufiger bewusst sind: die Lunge. Der Klimawandel betrifft die Umwelt, das Außen – selbst wenn seine Folgen auch für uns körperlich spürbar oder gar tödlich sein können/werden/sind.
- Der Kampf gegen Corona erzeugt Helden. Ärzte, Pflegepersonal, Kassiererinnen, all diejenigen, die derzeit zu Recht (!) Beifall und Unterstützung bekommen, sind Identifikationsfiguren in einem Rettungsdrama. Eine vergleichbare theatralische Dynamik hat der Klimawandel bislang nicht zu bieten. Seine Helden sind eher nervende Mahner.
Dennoch ist zu hoffen, dass der Mut, gesellschaftliche Veränderungen in Angriff zu nehmen, nach einer erfolgreichen Bekämpfung der Corona-Pandemie nicht zum Erliegen kommt, und für Ziele wie den Klimaschutz und die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeit genutzt wird. Und dies natürlich auf demokratischer Grundlage. Die Gesellschaften zeigen gerade, dass sie zu vielem bereit und in der Lage sind.
Ich denke und hoffe, dass die „post-coronale“ Welt anders aussehen wird und wir nicht einfach wieder zum alten Lebensstil zurückkehren werden. Denn dieser Lebens-, Konsum- und Wirtschaftsstil ist nicht zukunftsfähig und muss sich ändern. Der momentane Krisenmodus unterscheidet sehr sinnvoll zwischen notwendigen und nicht notwendigen Gütern, Dienstleistungen und Aktivitäten. Das ist erstaunlicherweise weitestgehend konsensfähig! Sagt doch die reine Lehre der Marktwirtschaft, dass jeder andere Bedürfnisse hat und es daher unmöglich sei, über individuelles Konsumverhalten auf der gesellschaftlichen Ebene (Stichwort Gemeinwohlorientierung) auch nur zu diskutieren. Doch siehe da: Auf einmal geht das. Damit will ich NICHT sagen, dass wir künftig auf alle schönen Dinge des Lebens verzichten sollen. Nur dass man durchaus mal neu nachdenken könnte und sollte, ob ALLES, woran wir uns gewöhnt haben und worauf wir glauben nicht verzichten zu können, tatsächlich so sinnvoll ist – angesichts der Risiken und Nebenwirkungen und externen Kosten usw.